LANDSCAPING 0.2 - DAS UNKARTIERTE LAND

Text from evening program by Constanze Schellow

Ich erinnere mich an den Tag, an dem die Pflanzen zum ersten Mal tanzten. Sie machten die Situation zu ihrer Bühne, die Landschaft zu ihrem Soundtrack und mich zu ihrer Zuschauerin. Oder anders: Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich die Pflanzen zum ersten Mal tanzen sah. Mein Blickwinkel stellte die Situation der Performerin-Beobachterin her, indem ich diese Agenten des Waldes' als eigenständige Wesen in der Landschaft wahrzunehmen begann.

Während meiner Zeit im Santarém bin ich viel gegangen und habe viel geredet. In Begleitung derer und mit denen, die mich in diesen Ort und in die besondere Beziehung der Menschen mit ihrem Lebensraum eingeführt haben. Sie nennen sich selbst Ribeirinhos (Flusseinwohner*innen) oder Indígenas (Indigene). In Tieren, Flüssen und Wäldern sehen sie nicht potenzielle Objekte der Ausbeutung, sondern ihren Schwestern, Brüder, Vorfahren - eine Weltsicht, die mich tief bewegt hat und als Amazonian Perspectivism in wissenschaftliche Diskussionen Eingang gefunden hat.

Mein Forschungsaufenthalt am Amazonas wurde im Lauf der Arbeit an LandScaping 0.2 - das unkartierte Land  in mehrerer Hinsicht zu einem Experiment in Übersetzungs-, Überzeichnungs- und Imaginationsarbeit. Meine persönlichen Mappings und Kartographien, die im Oktober/November 2020 im Regenwald entstanden, wurden von meinen in Deutschland verbliebenen Arbeitspartner*innen Anne Lene Nöldner, Friedeman Duphelius, Julia Missiorny, Elsa Artman und Clara Marie Müller gelesen, übertragen, angewandt. Ich erinnere mich an ein Gefühl, Fremdkörper zu sein, obwohl ich mich doch, gebürtig in Brasilien, scheinbar zu meinen Wurzeln hinbewegte. Ich erinnere mich an das Gefühl, Beobachterin zu sein, Spaziergängerin in einem ungewollt romantischen Sinn. Ich erinnere mich, dass ich mich gefragt habe, wem dieser Boden gehört. Und ich erinnere mich an die brennende Frage, ob das alles politisch vertretbar ist.

Wir sind seitdem alle viel gegangen und haben viel geredet. Über Stachelrochen und Datenvolumen, Naturgeister und Zimmerpalmen, über die Jaguarmuster von Stoffen und Handlungen. Ausgehend von meinen Aufzeichnungen der Gespräche und Wege in den Flussgemeinden des Tapajós Naturschutzgebietes begann uns die Vorstellung zu beschäftigen, wie und wo wir in unserer zentraleuropäischen Lebenswelt überhaupt zulassen, dass das Pflanzliche, Vegetative, sich in und mit unserem Alltag verwurzelt. Wie können wir lernen, tanzende Pflanzen zu werden? Inwiefern irritiert die Vorstellung der tanzenden Pflanzen anthropozentrische Routinen? Solche Fragen bewegen uns in der Begegnung mit der mehr oder weniger fassbaren Materialität vergangener und gegenwärtiger Ver- und Entwurzelungsperformances und der mehr oder weniger organischen Realität eines Ensembles aus Topfpflanzen.

Ensemble:

Gummibaum: Der Para-Kautschukbaum stammt aus Südamerika. Er hat eine große wirtschaftliche Bedeutung, weil sein Naturkautschuk oder als Naturlatex (Latex) bezeichneter Milchsaft die wichtigste natürliche Quelle dieses nachwachsenden Rohstoffs für die Gummiherstellung ist. Ursprünglich war das Vorkommen auf das Amazonasbecken beschränkt. Die indigene Bevölkerung nannte die Pflanze auch „ca-hu-chu“, was so viel wie „weinendes Holz“ bedeutet.

Bogenhanf: Wird auch Sansevieria oder Schwiegermutterzunge genannt, Neben der Haustür gepflanzt, schützt sie gegen negative Energie. Die dicke Blattspreite ist sukkulent oder lederig, lanzettlich, linealisch oder bandförmig und flach, oder zylindrisch oder halbzylindrisch und gewöhnlich oberseits mit einer Rinne versehen. Sansevieria ist Wärme gewohnt, denn er stammt aus Wüstengegenden.

Elsa Artmann ist ein flaches Gewächs mit drei Zweigen. Ihre Blätter sind rund und rot und haben grüne Ränder. Sie wächst in einer Lücke zwischen zwei Pflastersteinen neben dem Testzelt vor der Schokoladenfabrik. Durch eine große Scheibe hindurch schaut sie ins Tropenhaus.

Alocasia: Die Blätter der Unterart des Riesen-Taro gehören zu den größten nicht zusammengesetzten Blättern aller Pflanzen überhaupt. Ihretwegen wird sie auch ‚Elefantenohr‘ genannt. Im Regenwald dienen die Elefantenohren als Schutz bei starkem Regen. Die stärkehaltigen Knollen werden wie Kartoffeln gekocht.

Anne-Lene Nöldner neigt sich im Wind. Wenn er ihr in die Blätter fährt, zieht sie sich zurück; darin zu zittern und zu klappern überlässt sie anderen Pflanzen. 

Farn: In ihrer fossilen Form bilden Farne die Basis für die Steinkohlevorkommen auf der Erde. Die ältesten Farn-Fossilien sind 400 Millionen Jahre alt. Farne sind heute weltweit verbreitet, am stärksten in den tropischen Wäldern. Die dort wachsenden Baumfarne wurden seit dem 19. Jahrhundert nach England importiert und dort zu beliebten Pflanzen in den so genannten ‚Tropenhäusern‘.

Musa Banana Tropicana: Das Wort Banane gelangte über das portugiesische banana ins Deutsche. Es stammt ursprünglich aus einer westafrikanischen Sprache, vermutlich aus dem Wolof. Eine Umfrage aus dem Jahr 2015 besagt, dass in Deutschland jeder Mensch pro Jahr durchschnittlich ca. 12 kg Bananen isst.

Montsera: auch Fensterblatt genannt, stammt ursprünglich aus den Wäldern Mittel- und Südamerikas. Jugend- und Altersformen unterscheiden sich vegetativ oft deutlich. Am häufigsten handelt es sich um Hemi-Epiphyten, dabei keimen die Samen am Boden. Lange, beschuppte Ausläufer kriechen über den Waldboden; sobald ein Baum erreicht ist, entwickeln sich die ersten Laubblätter, und die Sprossachsen beginnen zu klettern. Dabei werden kurze Haftwurzeln und lange Luftwurzeln gebildet, der untere Pflanzenteil stirbt ab.

Clara Marie Müller liebt die verschiedenen Jahreszeiten und Rhythmen. Sie braucht viel Wasser und Licht und trägt die schönsten Blüten und die kräftigsten Blätter, wenn sie genug Raum zum Wachsen hat, aber verschiedene andere Pflanzen in der Nähe wachsen und sie so in einem Austausch sind. Ihr tut es gut immer wieder mal den Standort zu wechseln, bei frischer Luft gedeiht sie besonders gut

Palme: Sie sind in tropischen und subtropischen Gebieten heimisch. Blätter der Palmengattung Raphia sind bis zu 25 Meter lang. Palmen sind mit den Gräsern näher verwandt als mit echten Gehölzen. Sie werden sowohl als Stilelement zur Vermittlung eines ‚südländischen‘ Eindrucks in öffentlichen Grünanlagen und Gärten genutzt als auch als Zimmerpflanzen.

Ficus: Einige Ficus-Arten sind Würgefeigen. Die Samen werden von Vögeln gefressen. Wenn sie in deren Kot auf den Ast eines Baumes landen und dort dank der schleimigen Samenhülle kleben bleiben, keimen die Samen auf dem Ast. Die Feigenpflanzen wachsen direkt dort. Erreichen ihre Wurzeln den Boden, umschließen sie mit immer mehr Luftwurzeln ihren Trag- oder Wirtsbaum, der schließlich abstirbt. Dieser Ficus-Baum wurde aus chinesisches Plastik gemacht. Zuletzt wohnte er im Schauspielhaus Köln. 

Bianca Mendonça wurde vor circa 12 Jahren aus Südost-Brasilien im Deutschland umgepflanzt, um ihre künstlerische Arbeit zu vertiefen. Sie kommt sehr gut mit einem warmen, sonnigen und hellen Standort zurecht und sollte jeden Tag gegossen werden.

Friedemann Dupelius liebt das leise Blätterrascheln genauso wie die große Geste, bei der das ganz Wurzelwerk mitvibriert. Er lauscht Flora, Fauna und Humanity, um sie besser zu verstehen. Einen Halm hat er dabei immer der Morgensonne zugewandt.