Critic reflection from Vanessa Melde - Performance at Orangerie Theater - May 09th 2025
Ein Zusammenspiel aus Salz, Erde und Wind – die Erinnerung an eine Landschaft
Vielgestaltige (Tanz-)Spuren aus der Atacama-Wüste im Orangerie Theater
Bianca Mendonça und ihr Team wollen die Landschaft wie deren Bewohner*innen begreifen:
lebendig, als kulturell und spirituell bedeutsames Wesen. Daraus entstanden ist die
Choreografie eines erinnerten Ortes, der greifbar und zu einer begehbaren Mitwelt wird.
Text von Vanessa Melde
Köln, 09.05.2025
Eine sanfte Brise erfüllt den Raum, warmes Licht strahlt auf weiße, sandige Anhäufungen, darin
Batterieteile – eine kleine Lithium-Landschaft. An die Wände wird ein Willkommensgruß
projiziert an alles, was Teil der Recherche vor Ort war und der Erfahrung im Raum sein wird. In
der hinteren Ecke des Raumes glitzert ein Knäul aus Folie und Watte, unter dem sich eine Person
zu verbergen scheint. Der Wind aus den Ventilatoren lässt nach, aber das Rauschen des Windes
bleibt. Kissen markieren, wo Platz genommen werden kann, aber es besteht immer die
Möglichkeit, einen anderen Platz zu wählen. Als die Zuschauenden zur Ruhe kommen, windet
sich das kupferfarbene Knäul langsam in den Raum hinein. LandScaping 0.4 /To the ones who’ve
been there before verwandelt das Foyer des Orangerie Theaters in ein performatives Archiv einer
Landschaft. Bianca Mendonça häuft vielgestaltige Spuren ihrer Recherche in der Gemeinde
rund um San Pedro de Atacama in Chile an. Die Atacama-Wüste ist ein Ort neokolonialer
Ausbeutung, wo fast ein Drittel der weltweiten Lithium- und Kupferproduktion stattfindet.
Mendonças choreografische Arbeit ist von der Suche nach zukunftsfähigen Beziehungsformen
zu ehemals kolonialisierten Landschaften angetrieben.
Die Collage einer Landschaft
Die Tänzerin Marília Silva scheint mit der installativen Kollage aus Licht, Klängen und den
Bewegungen der Materialien aus Plastik und Stoff zu verschmelzen. Die Erde, das Salz und der
Wind der Atacama-Wüste werden zu präsenten Mit-Akteuren in ihrem Erinnerungsraum. Sie
erzählen eigene Geschichten des Ortes, an dem sich die Begegnungen zwischen Menschen und
der Natur abspielen. Im sandfarbenen Licht erklingen abwechselnd Gespräche und
Straßengeräusche und dann wieder das Rauschen des Windes, während Projektionen von
Landschaftsaufnahmen die Tänzerin in ihrem ebenso sandfarbenen Kostüm verschlingen. Wie
die Elemente Erde, Salz und Wind haben auch die Requisiten ihre eigenen Erzählungen. Im
Windzug der Ventilatoren lässt Marília Silva ein kupferfarbenes Pom-Pom wie Steppenläufer
über die Bühne rollen, Salz über die Bühne wehen und Luftballons darin tanzen. Die Zeit scheint
gedehnt, der Fokus liegt im Detail und zoomt dann wieder heraus in die Panoramasicht.
Lebendige Berge
Auf den Spuren ihrer Erlebnisse sucht Mendonça in LandScaping 0.4 nach ihren
Bezugsmöglichkeiten zu der Lebendigkeit einer Landschaft und gibt Einblicke in die Gespräche
mit Einwohner*innen über ihre Beziehung zu der Landschaft: Die Wüste ist „heilig wegen der
Menschen, die vor uns hier gelebt haben. Das ist es, was sie heilig macht“. Über die Projektion
kann die Übersetzung mitgelesen werden. Das Stück endet mit einem Bild, das wiederum an
den Beginn erinnert. Im kupferfarbenen Knäul verhüllt, windet sich Silva über die Bühne aus dem
Foyer und auf den sandigen Hof hinaus.
Nach dem Applaus bleibe ich noch für einen Moment sitzen und lasse das Erlebte nachwirken.
Worin bestehen die Unterschiede von erlebter, erinnerter und imaginierter Landschaft? Ich bin
nie in der Atacama-Wüste gewesen, konnte ihre Hitze und Trockenheit an einem lauen
Frühlingsabend in Köln nicht spüren. Trotzdem bleibt das Gefühl, ich selbst hätte mich an eine
Landschaft erinnert, die ich einmal durchschritten habe.